07 Februar 2006

Den Christen eine Torheit

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 11. 9. 2005

Die Theologen haben die Bibel nur unterschiedlich interpretiert; es kommt darauf an, sie zu verändern. So sehen es jedenfalls Teile der evangelischen Kirche. Deshalb wird es bald eine politisch korrigierte »Bibel in gerechter Sprache« geben. An diesem Übersetzungsvorhaben wird seit 2001 an der Evangelischen Akademie Arnoldshain (Taunus) gearbeitet; im nächsten Jahr soll es abgeschlossen sein.

Als Dr. Martin Luther die Wittenberger Version der Schrift vorlegte, machte man ihm den Vorwurf, die im »Sendbrief vom Dolmetschen« erläuterten Grundsätze seiner Verdeutschung begründeten eine »newe Schwermerey«. Unversehens wurde daraus eine neue Kirche. So weit wird es mit der Arnoldshainer Bibel nicht kommen, denn die reformatorischen Tendenzen, denen sie zur Sprache verhelfen soll, gibt es längst. Alle Mitwirkenden konnten umstandslos darauf verpflichtet werden, bei ihrer Arbeit »feministische und befreiungstheologische Diskurse und die Diskussion des christlichen Antijudaismus zu berücksichtigen«. Auf diesen Traditionen läßt sich ebenso aufbauen wie auf der amerikanischen Debatte um »political correctness« und »inclusive language«.

Letztere ist mit »gerechter Sprache« gemeint: eine Sprachregelung, die verhindert, daß sich Angehörige bestimmter gesellschaftlicher Segmente linguistisch ausgegrenzt oder herabgesetzt fühlen könnten. In dieser Sprache sollen sich alle eingeschlossen fühlen, jede potentielle Diskriminierung ist abzustellen. Wirklich jede, zum Beispiel auch die Diskriminierung der Pharisäer und erst recht die ihrer Weiber. Die Vorwürfe Jesu, die Mitglieder dieser Sekte handelten ihren Glaubenssätzen zuwider, waren offensichtlich zu pauschal: »Die verallgemeinernde Sprache des Textes, wenn sie in der Übersetzung wiederholt wird, hat dazu geführt, daß ,die Pharisäer‘, weil sie Pharisäer sind, als Heuchler, die ihre eigene Lehre nicht befolgen, verstanden werden«, erläutert die feministische Theologin Luise Schottroff mit Blick auf das Evangelium des Matthäus. Dagegen wird ihre eigene Übertragung die »pharisäischen Männer und Frauen« retrospektiv in Schutz nehmen.

Diese Art der Übersetzungskritik ist, wie man sieht, eine Textkritik im Wortsinne. Nicht Luther liegt falsch und auch nicht Erasmus, sondern Matthäus und letzten Endes Jesus selbst. Insofern unterscheidet sich die Arnoldshainer Bibel schon im Ansatz von den meisten der vorangegangenen Bemühungen um einen neuen oder revidierten deutschen Text der Testamente. Und während evangelikale Bewegungen darauf aus sind, buchstäblich an das zu glauben, was geschrieben steht, soll in der »Bibel in gerechter Sprache« endlich das zu lesen sein, woran ihre Autoren längst glauben: zum Beispiel an die Gleichberechtigung von Pharisäerinnen und Samaritern.

Für dieses Ziel steht ein Herausgeberbeirat ein, dem der hessen-nassauische Kirchenpräsident Peter Steinacker vorsitzt. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau trägt über die Arnoldshainer Akademie auch einen großen Teil der Kosten; Unterstützung kam darüber hinaus vom Bundesfamilienministerium unter Christine Bergmann. Die Übersetzungsarbeit kann aber von Wohlmeinenden und Gutgläubigen auch gezielt gefördert werden: Die vier Evangelien wurden auf 4500 bis 7500 Euro taxiert, die »ApostelInnengeschichte« auf 7000 Euro. Der Brief des Judas war schon für 500 Euro zu haben. Für Jesaja und Jeremia werden noch Sponsoren gesucht.

Allemal unbezahlbar müssen die im mehrjährigen Arbeits- und Diskussionsprozeß gewonnenen hermeneutischen Erfahrungen der Mitwirkenden gewesen sein: »Nicht ich lese die Bibel, sondern sie liest mich«, beschreibt etwa Detlef Dieckmann-von Bünau sein sprachmystisches Erlebnis. Der Berliner Theologe hat sich das Buch »Kohelet« (vulgo »Prediger«) vorgenommen. »Ich sah Knechte auf Rossen und Fürsten zu Fuße gehen wie Knechte«, heißt ein Vers dieses Buches bei Dr. Luther. Daß die Wortwahl des Reformators nach bald fünfhundert Jahren nicht mehr ohne weiteres verständlich ist, war bisher der Hauptantrieb aller Revisionsbemühungen. Übersehen wurde dabei, wie in dieser Sprache die Gefühle der Fürstinnen und anderer gesellschaftlicher Randgruppen systematisch verletzt werden. Dr. Dieckmann-von Bünau macht dem ein Ende: »Ich habe schon Angestellte auf Pferden gesehen – und Hochgestellte, die wie Angestellte auf der Erde gingen!« lautet also die gleiche Stelle in der – noch vorläufigen – Neufassung.

Ist das Ende der ungerechten Welt nahe? Der »Herausgabekreis« der neuen Bibel warnt vor überzogenen Erwartungen. »Eine Bibelübersetzung in gerechter Sprache soll nicht dazu führen, daß sich Frauen in einer patriarchalen Welt heimisch fühlen«, meint die Heidelberger Alttestamentlerin Dorothea Erbele-Küster. Ein Unbehagen in der männlich dominierten Kultur muß bleiben, solange diese nicht durch eine neue Ordnung abgelöst werden kann, in der die Grundsätze der Gleichheit und Schwesterlichkeit herrschend geworden sind. Bis es so weit ist, bietet der Brief des Paulus an die Römerinnen und Römer (in der Übersetzung von Claudia Janssen) stillen Trost: »In unserer Ohnmacht steht uns die Geistkraft bei . . . Die Geistkraft selbst tritt für uns ein mit wortlosem Stöhnen.«