10 Oktober 2006

Bloodlines of the Illuminati

Luca Bianchini, Anna Trombetta: Goethe, Mozart e Mayr fratelli illuminati
Archè, Milano 2001, 444 S.

Quatuor-Coronati-Jahrbuch 40 (2003), S. 304; auch in: Zeitschrift für internationale Freimaurerforschung 4 (2002) [2004], S. 89 f.

Beim Festival Rossini in Wildbad wurde im Sommer 2001 eine einaktige Farce Verter nach über zweihundert Jahren erstmals wieder zur Aufführung gebracht. Die Entdecker der Handschrift, zwei norditalienische Musikhistoriker, schreiben sie dem deutschen Komponisten Simon Mayr zu. Über den Wert dieses Fundes für die Musikgeschichte muß an dieser Stelle nicht geurteilt werden. Der Lehrer Donizettis, so heißt es bereits in einer älteren Werkmonographie, wurde im Laufe der Zeit regelmäßig „nicht nur überschätzt, sondern auch wesentlich schief beurteilt“. Gleiches ließe sich, mutatis mutandis, vom Illuminaten-Orden sagen, allemal jedenfalls von der Darstellung, die er seitens der beiden Italiener erfährt.

Johann Simon Mayr wurde 1763 in Mendorf geboren. Der zwanzig Kilometer nordöstlich von Ingolstadt gelegene Ort gehörte zu den bayerischen Gütern der Freiherren von Bassus. Thomas (Tommaso) Maria von Bassus war es denn auch, der den jungen Musiker förderte und ihn Ende der achtziger Jahre im bündnerischen Puschlav (Poschiavo) beschäftigte, wo er als Podestà ein kunstsinniges Regime führte. Als Verleger aufklärerischer Schriften brachte er 1781 unter anderem auch die erste italienische, aus dem Französischen übersetzte Ausgabe der Leiden des jungen Werther heraus, an der sich Komponist und Librettist der besagten Farce orientiert haben mögen. Bassus zählte zu den wichtigsten Gehilfen Adam Weishaupts; ihm oblag es, in Tirol und Norditalien fähige Männer für den Orden zu gewinnen; ihm gehörte auch Schloß Sandersdorf, jenes „bekannte Illuminaten-Nest“, wo die bayerischen Beamten im Mai 1787 einen umfangreichen Bestand geheimer Unterlagen beschlagnahmte. Es läßt sich also annehmen, daß der Baron seinen Schützling eines Tages in den Orden aufnahm und ihn an den Sitzungen der Minervalkirche zu Puschlav teilnehmen ließ. Vielleicht wurde Mayr dort auch Mitglied der Loge „Zu den drei Sternen“.

Ein Beleg allerdings fehlt. Die Forschung, zuletzt John Stewart Allitt, hat ihn nicht beibringen können. Bianchini und Trombetta suchen dies zu verdunkeln, indem sie eine ebenso weitschweifige wie konfuse Gesamtgeschichte des Illuminaten-Ordens zusammenschreiben, die sich zwangsläufig mit der Lebensgeschichte Mayrs an den wenigsten Punkten berührt. Statt neuen Informationen aus den Archiven von Bergamo oder Chur bieten sie Exzerpte aus älterer und neuerer Literatur, wobei sie keine Unterschiede zwischen seriösen Studien und dubiosen Pamphleten machen. Orientierungslos schwanken die Autoren zwischen Glaubensseligkeit und blindem Übereifer, wenn sie Katharina II., Joseph II., Christian VII. und Gustav III. («secondo alcune fonti», die nicht namhaft gemacht werden) zu den Illuminaten rechnen (100) und dann sogar eine eigene Mitgliederliste zusammenstellen (123–38), weil sie von der maßgeblichen Aufstellung Hermann Schüttlers keine Kenntnis erlangt haben.

Die Ahnungslosigkeit der beiden Musikliebhaber ist bisweilen erheiternd, so etwa, wenn sie Carl Theodor von Dalberg als «Elettore Palatino di Baviera» bezeichnen (102), mithin einen bedeutenden Illuminaten mit ausgerechnet jenem Fürsten verwechseln, der den Orden in seinen Landen aufhob und dessen Mitglieder verfolgen ließ. Durchaus nicht mehr amüsant ist jedoch, daß Bianchini und Trombetta ein ebenso kurzes wie infames Kapitel der Familie Rothschild widmen. «Secondo Fritz Springmeier, i banchieri ebrei avrebbero reinvestito nella Revoluzione francese i soldi ricavati dalla Rivoluzione americana» (78), heißt es hier mit Bezug auf ein Buch mit dem vertrauenerweckenden Titel Bloodlines of the Illuminati. Sosehr man auch bereit sein mag, historischen Dilettanten das eine oder andere Versehen durchgehen zu lassen – das Urteilsvermögen, antisemitischen Schund als solchen zu identifizieren, sollte bei jedem vorausgesetzt werden können, der sich mit freimaurerischer Geschichte befaßt.

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