16 September 2006

Sehr schönes Thema

Johannes Rogalla von Bieberstein, »Jüdischer Bolschewismus«. Mythos und Realität, Dresden, Edition Antaios, 2002, 312 S., € 29,00.

links. Rivista di letteratura e cultura tedesca 5 (2005) [2006], S. 131 f.

»Sehr schönes Thema, die Revolution und die Juden«, äußerte Gustav Landauer in einem Brief an Martin Buber. Indem sich der anarchistische Philosoph, Sohn eines jüdischen Kaufmanns, zum »Volksbeauftragten« der Münchner Räterepublik wählen ließ, sollte er selbst dieses Thema fortschreiben. Im Dezember 1918 nicht vorauszusehen war allerdings, wie Johannes Rogalla von Bieberstein mit ihm umgehen würde.

Das Buch des Bielefelder Bibliothekars sorgte in Deutschland kurzzeitig für Aufsehen, weil ein CDU-Bundestagsabgeordneter aus ihm Zitatmaterial bezogen hatte. Die mißratene Rede Martin Hohmanns zum von ihm so genannten »Nationalfeiertag« am 3. Oktober 2003 trug ihm die Verstoßung aus seiner Fraktion ein. Auch Johannes Rogalla von Bieberstein hatte kritische Fragen zu beantworten. Gegenüber der Neuen Westfälischen äußerte er, von »Juden als Tätervolk« habe er nicht geschrieben. Er könne »nicht steuern«, wenn sich »rechte Kreise« bei ihm bedienten.

Dieser Rechtfertigungsversuch wirkt sonderbar angesichts der dem Buch vorangestellten Danksagung, die »Herrn Professor Dr. Ernst Nolte für sein Vorwort und Herrn Dr. Karlheinz Weißmann für die Durchsicht des Manuskriptes« gilt. Letzterer ist der wohl umtriebigste Organisator einer Nouvelle droite à l’allemande, ersterer einer seiner wichtigsten Inspiratoren. Wäre es Rogalla von Bieberstein ein Anliegen gewesen, sich gegen mögliche Vereinnahmungsversuche von dieser Seite zu schützen, hätte er seine Studie nicht ausgerechnet einem Verlag anvertraut, der neben Nolte und Weißmann den Schweizer Historiker der »Konservativen Revolution«, Armin Mohler, und den prominenten 68er-Renegaten Bernd Rabehl zu seinen Autoren zählt.

Nolte hat sich schon vor Hohmann gegen die angeblich »heute übliche Entgegensetzung von ‚Tätervolk‘ und ‚Opfervolk‘« gewandt, und er hat schon vor Rogalla von Bieberstein vom »rationalen Kern« der Rede vom »jüdischen Bolschewismus« gesprochen. Dieser folgt ihm aufs Wort, wenn er im letzten Kapitel seiner Untersuchung das Résumé zieht, die antisemitische Propaganda des 20. Jahrhunderts habe »ein realgeschichtliches Fundament, einen realen ‚Kern‘« besessen (S. 282). Nolte nimmt dies natürlich dankbar auf. In seinem Vorwort heißt es, Rogalla von Bieberstein billige den Judenhassern »ein gewisses Ausmaß von Recht« zu (S. 3). Die Ausführungen Noltes kulminieren in der Anklage, die ungenannt bleibenden »Philosemiten« machten sich der »Herabwürdigung eines welthistorischen Volkes« schuldig (S. 10).

Rogalla von Biebersteins »Würdigung« besteht demgegenüber in der detaillierten Auflistung all jener Protagonisten der sozialistischen Bewegung, die jüdischer Abkunft waren. Die Karteikästen des Bielefelder Bibliothekars sind prall gefüllt. Die einzelnen Karten enthalten mancherlei Daten zu den einzelnen Lebensläufen und natürlich auch die Auflösung der zahllosen Pseudonyme (Trotzki = Bronstein, um nur das bekannteste zu nennen). Aus der in langjähriger Arbeit entstandenen Sammlung eine lesbare Darstellung zu machen war zweifellos eine schwierige Aufgabe. Die Kräfte des Verfassers hat sie überfordert, und so präsentiert sich seine Studie über weite Strecken als eine Art Neuauflage des antisemitischen Semi-Kürschner in nicht-alphabetischer Reihenfolge.

Es versteht sich, daß sich Rogalla von Bieberstein vorsorglich gegen den Vorwurf des Antisemitismus verwahrt. Er widmet sein Buch dem Andenken Léon Poliakovs, den er als seinen »langjährigen Gesprächspartner« bezeichnet, und er rühmt sich der Bekanntschaft mit Yehuda Bauer. In längeren Passagen über den »Autor als Christ, Spürhund und Dokumentar« (S. 36) schildert er sich selbst und seine lauteren Absichten. Dieser mag er sich »beim gedankenschweren Gehen über die Rampe in Auschwitz-Birkenau« (ebd.) versichert haben, und bisweilen scheinen sie auch zum Vorschein zu kommen. So heißt es an einer Stelle: »Selbstverständlich darf man die vorgestellten jüdischen Revolutionäre nicht als bezahlte Agenten bewerten, schon gar nicht als Agenten des als politische Handlungseinheit überhaupt nicht existierenden Judentums, was antisemitische Verschwörungstheoretiker unterstellten.« (S. 155)

Konspirationsphantasien behandelte der Verfasser bereits in seiner lesenswerten Dissertation, Die These von der Verschwörung 1776 –1945. Philosophen, Freimaurer, Juden, Liberale und Sozialisten als Verschwörer gegen die Sozialordnung (Frankfurt a. M. 1976). Er verfolgte darin mit einiger Akribie die Entstehung und Tradierung der Legende, derzufolge die Französische Revolution ein von Freimaurern inszenierter Umsturz gewesen sei. Bekanntlich glaubten einflußreiche Nationalsozialisten, vor allem Himmler und Rosenberg, an den Wahrheitsgehalt dieser Legende ebenso wie an die Realität einer jüdischen Weltverschwörung. Manches Mal berührten und vereinigten sich beide »Mythen«, so daß der Illuminat Adam Weishaupt zu einem Juden, Marx und Lenin ihrerseits zu Freimaurern erklärt werden konnten. Mit Norman Cohn glaubt Rogalla von Bieberstein, daß die antijüdische Propaganda letztlich »zugkräftiger« als die antimasonische war (S. 278). Insofern schließt er an seine früheren Forschungen nahtlos an.

Der Unterschied in der Methode ist gleichwohl unübersehbar. Zwar hob Rogalla von Bieberstein schon in seiner Dissertation hervor, »daß der Verschwörungsthese ein Realitätsbezug nicht immer abgesprochen werden« könne (S. 167). Aber erst jetzt, angeleitet durch den Geschichtshermeneutiker Nolte, sucht er systematisch nach dem »rationalen Kern« des »Mythos«. Das Ergebnis ist ohnehin bekannt: Viele Sozialisten waren (der Herkunft, nicht dem Glauben nach) Juden. Das macht weder den Sozialismus zur jüdischen Erfindung noch den Bolschewismus zur jüdischen Untat. Jede Vorstellung, die wahnhaft in ihrer Übersteigerung ist, hat ihre Anhaltspunkte in der Wirklichkeit. Aus deren Quantifizierung kann aber nicht einfach auf den Grad der Triftigkeit des jeweiligen Wahns geschlossen werden.