06 Mai 2009

Engel und Dämonen

In einer Vorbemerkung zu seinem Roman Angels and Demons (deutsch: „Illuminati“) behauptete der amerikanische Trivialromancier Dan Brown, die Beschreibung der Schauplätze entspreche genau den örtlichen Gegebenheiten. Seither laufen manche seiner Leser durch Rom auf der Suche nach Sichtachsen, die sich partout nicht auftun wollen. Der Verfasser erklärte an gleicher Stelle, den Illuminatenorden habe es wirklich gegeben. Das stimmt zwar, aber natürlich zählten Galileo und Bernini keineswegs, wie bei Brown zu lesen, zu den Mitgliedern des erst 1776 entstandenen Geheimbundes.

Auch war dessen Gründer, der junge Ingolstädter Professor Adam Weishaupt (1748–1830), nicht so vermessen, es mit der katholischen Kirche insgesamt aufzunehmen. Sein Argwohn ebenso wie seine kaum verhohlene Bewunderung galt primär den Jesuiten, deren Orden zwar offiziell aufgehoben worden war, die aber als Weltpriester weiterhin wichtige Positionen innehatten, so auch an der bayerischen Landesuniversität.

In der bikonfessionellen Reichsstadt Augsburg waren die Jesuiten des Kollegs St. Salvator unvermindert tätig. Von hier berichtete Weishaupts Schüler Franz Xaver Zwackh im Dezember 1778 von einer „Unterredung mit dem Abbate Marotti in Betreff der M[aurerey], wo mir dieser das ganze Geheimniß, welches sich auf die alte Religion und Kirchengeschichte gründet, erklärt, auch alle hohe Grade bis auf jene der Schotten mir mitgetheilet hat“. Der Ordensgeneral zeigte sich hocherfreut über diese „wichtige Entdeckung“ und empfahl: „Nutzen sie diesen Umstand, soviel möglich.“

Weishaupt selbst war am 2. Februar 1777 in die seit 1775 bestehende Münchner Loge „Zur Behutsamkeit“ aufgenommen und seitdem zum Gesellen befördert worden. Sein Wissen von der Freimaurerei ging also kaum über die ersten Grundlagen hinaus, zumal er als Auswärtiger nicht regelmäßig an den Münchner Logenversammlungen teilnehmen konnte. Marottis wertvolle Aufschlüsse ermöglichten erst die Entwicklung und Umsetzung der illuminatischen Strategie, die bestehenden freimaurerischen Netzwerke zur Ausbreitung der eigenen Organisation zu nutzen. So gelang Zwackh die Umwandlung der zweiten Münchner Loge, „St. Theodor vom guten Rat“, in eine Operationsbasis, von der aus Kontakte bis nach Berlin und Warschau geknüpft werden konnten.

Auf welchem Wege Weishaupt erstmals vertiefte Kenntnis von den Ritualen der Freimaurerei erlangt hatte, wurde bereits 1787 offenbar, als auf kurfürstlichen Befehl die bei Hausdurchsuchungen aufgefundenen „Originalschriften“ des Illuminatenordens in zwei Bänden gedruckt wurden. Aber nicht einmal der französische Exjesuit Augustin de Barruel, der einen großen Teil seiner gegenrevolutionären Mémoires pour servir à l’histoire du jacobinisme (1797/98) den Umtrieben der Illuminaten widmete, stellte die Frage nach der Identität jenes italienischen Geistlichen.

Dabei führt die Spur geradewegs nach Rom. Giuseppe Marotti (1741–1804), Jesuit seit 1758, zählte am Collegium Romanum zu den Schülern des dalmatinischen Dichters Rajmund Kunic (Raimondo Cunich, 1719–1794), dessen Epigramme er später herausgeben sollte. Nach Aufhebung des Ordens 1773 übernahm er hier eine Professur als Lehrer der Rhetorik und des Griechischen und veröffentlichte Übersetzungen und Biographien. Als Papst Pius VI. 1798 von französischen Truppen gezwungen wurde, Rom zu verlassen, zählte Marotti zu der kleinen Schar seiner Getreuen, die ihn zunächst ins toskanische, dann ins französische Exil begleiteten. In seinen letzten Lebensjahren diente er auch dem Nachfolger, Papst Pius VII., noch als Geheimsekretär.

Leider ist über Marottis Aufenthalt in Augsburg nichts weiter bekannt. Welchem Zweck diente sein Besuch? Kehrte er womöglich schon 1782 im Gefolge des nach Wien reisenden Pius VI. zurück? Blieb er mit den Augsburger Exjesuiten in Verbindung, deren Zeitschrift Kritik über gewisse Kritiker, Rezensenten, und Brochürenmacher von 1787 an zu einem führenden Organ der katholischen Gegenaufklärung avancierte?

Dunkel bleibt einstweilen auch, worauf Marottis Deutung der Freimaurerei gegründet war. Nach seinem Tode berief sich Marziale Reghellini (1766–1853) in einem Versuch über den Esprit du dogme de la franche-﷓maçonnerie (1825) überraschend auf Marotti, der das maurerische „Dogma“ von der reinen Lehre Jesu und der urchristlichen Gemeinden abgeleitet habe.

Ähnliche Gedanken lassen sich auch in illuminatischen Texten nachweisen. In Rom hingegen konnte man diesen Ideen augenscheinlich nichts abgewinnen, selbst wenn sie auf einen päpstlichen Geheimsekretär zurückgehen mochten: Reghellinis Buch wurde 1839 auf den Index gesetzt.

(F.A.Z., 6. 5. 2009)

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